Kunst schaffen als Prozess

Die Arbeiten von Dominik His sind für manche eine Zumutung, mehr Zustand als Werk. Denn für den Künstler ist der Prozess, das Prozesshafte genau so wichtig wie das Endresultat.

In seinem Schaffen lässt er sich Zeit. Vor dem Schaffen stehen das Sammeln und das Entdecken. Und was sich angesammelt hat, bleibt oft lange liegen, bis es der Künstler seiner bisher verborgenen Bestimmung und Aufgabe zuführt, zu neuem Leben erweckt, verändert, verformt, neu zusammensetzt, ergänzt und daraus ein Kunstgegenstand entsteht. Manchmal bleibt das Ergebnis wiederum über Wochen ja Monate liegen, bis sich His des Werks wieder annimmt. Das manchmal auch wieder zerstört wird. Die latent bestehende Möglichkeit und der Entscheid, etwas wieder zu zerstören, zerstören zu müssen – quasi als Umkehr des Schaffensprozesses – findet His ebenso faszinierend wie den Entstehungsprozess. Was spricht eigentlich dagegen, Kunst mit einem Verfallsdatum zu versehen, wie vieles andere auch?

Beim Schaffensprozess von Dominik His geht es um mehr als bloss «Recycling». Es gibt bekannte Beispiele der Wiederverwendung oder Umfunktionierung von Alltagsgegenständen, wie beim Fahrradsattel mit Lenkstange, die 1942 miteinander kombiniert zu einer «Tête de taureau» mutierten und damit zu etwas Neuem wurden, aufgeladen mit einer gänzlich neuen Energie. His jedoch löst sich vom Primat der Abbildung, der Figur. Seine Kunst, obwohl geschaffen mit Gegenständen bzw. deren Abdruck oder Negativform ist genuin ungegenständlich, abstrakt. Sie will nichts abbilden. Aus sogenanntem «Abfall», «Objets trouvés», Aufgefundenem und Liegengebliebenem, «wertlosem Zeug», zusammengehalten mit einfachen Schnüren, Gips und Baumaterial entstehen filigrane, skulpturale Objekte. Zerbrechlich, vergänglich gar, ephemer, entlocken sie einem ein Lächeln und verzaubern unsere Wahrnehmung. His nimmt in Kauf, dass dabei auch manchmal etwas kaputt geht. Auch Kaputtes hat seinen Reiz.

Dominik His sagt dazu: «Es geschieht immer wieder, dass die Materialien sich ‹verselbstständigen› oder nur schwer beeinflussbar sind und die angestrebte Form komplett verändern. Vor allem das Arbeiten mit Gips verlangt einem Einiges ab. Sobald der Härtungsprozess beginnt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder schneller arbeiten und versuchen, die Skulptur in die angestrebte Form zu lenken, was meist mehrere Arbeitsschritte zur gleichen Zeit erfordert, oder die Kontrolle abgeben und den Prozess sich verselbständigen lassen. So gesehen, geht es bei meinem Schaffen immer um eine Kontrollierbarkeit des Unkontrollierbaren, um die Gratwanderung zwischen Kontrollieren und Nichteingreifen können oder wollen – was mir nicht immer leichtfällt.» Das Atelier als Labor und Versuchsanstalt.

Damit stellt sich auch die Frage, wann denn ein Werk «fertig» und dessen Entstehungsprozess abgeschlossen sei. Die Antwort dazu muss in der Schwebe bleiben. Zufrieden sein und sich zurücklehnen, kann ein Künstler wie His wohl nie. Aber das hat er mit vielen seiner Zunft gemein. Erinnert sei nur an das ständige Ringen Alberto Giacomettis, der nicht aufhören konnte, an seinen Figuren, geschaffen aus einem inneren Bild, herumzukneten, sie umzuformen, und sie am nächsten Tag oft wieder zerstörte, weil er nicht zufrieden war.

Die dergestalt geschaffenen Skulpturen und Objekte entziehen sich zunächst jeglicher Interpretation. Sie fordern nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch unser Kunstverständnis heraus. Der eigenen, mäandrierenden Gedankenwelt des Künstlers entsprungen, sind sie stark geprägt von persönlich Erlebtem und nehmen quasi assoziativ Gestalt an – sei es nach langem Nachdenken oder auch aus einer Tageslaune heraus. Unter Missachtung sämtlicher Regeln der Kunst. Die Werke transportieren vielleicht eine Idee oder einen Gedanken, der His bei seiner Arbeit durch den Kopf ging. Manchmal geben die Werktitel einen Hinweis dazu. Aber oft beschränken sie sich auf kryptische Hinweise und sind für das bessere Verständnis wenig hilfreich, entstammen sie doch teilweise aus dem medizinisch-psychologischen Vokabular wie «Trypophobius», einem Menschen der Angst vor Löchern hat. Oder sie verweisen auf momentane Stimmungen, Gedankenblitze, Begegnungen, entstehen erst nach der Fertigstellung, wie «Drei, einer zuviel!», «Merci», «Bloody Mess», «Cragg’s Idea», «Once u go black, you never go back», «Très résistant», «Seins chagrins» (was auf den ersten Blick wie zwei Brotscheiben aussieht, ähnelt einem histologischen Schnitt der weiblichen Brust – doch woher kommt der Kummer?).

Oft nehmen die Titel Bezug auf (Natur)Phänomene, die His inspiriert haben und impulsgebend für deren Entstehung waren, wie «Altostratus», eine graue Schichtwolke am Himmel, oder «Nimbostratus», eine Wolkenformation, die lang anhaltende Niederschläge verursacht. «Mister Vetiver», ein grün schimmernder Affenschädel, dessen Titel sich auf ein tropisches Gras bezieht, das in der Naturheilkunde und Parfumherstellung verwendet wird, ist dafür ein weiteres Beispiel. Die Arbeiten von Dominik His verlangen einem Einiges ab. Ihr «Added Value», der Mehrwert, entzieht sich dem direkten, unmittelbaren Zugang. Sie erschliessen sich nicht ohne Weiteres, erfordern eine intensive, persönliche Auseinandersetzung, eine Investition in die eigene Interpretation. Und sie sind gleichzeitig eine Aufforderung, mit dem Künstler ins Gespräch zu kommen, um mehr über seine Motivation und den Schaffensprozess zu erfahren.

Schön oder nicht schön? Diese Frage nach rein ästhetischen Kriterien stellt sich nicht. Abgesehen davon, dass in der langen Geschichte der künstlerischen Gestaltung durch Menschen es noch keiner Kunstrichtung oder ästhetischen Theorie gelungen ist, ein Schönheitsprinzip zu definieren und dauerhaft zu etablieren. Von den mathematischen Formeln und Lehre der Proportionen rund um den «Goldenen Schnitt» einmal abgesehen. Das künstlerische Schaffen von Dominik His orientiert sich denn auch weniger an vordergründig Schönem als an der Auseinandersetzung mit Material und Form und dem daraus entstehenden fragilen Gleichgewicht. Irgendwelche Schönheitsideale mit ihrer gefährlichen Nähe zum Kitsch interessieren His nicht. Mit seinen Konstruktionen aus gemeinhin als wertlos erachtetem Material «dekonstruiert» er die Idee des «Schönen» oder die Sehnsucht danach und lässt diese Frage gar nicht aufkommen. Schönheit ist vergänglich und unvergänglich zugleich – in der Erinnerung.

Ganz im Gegensatz zu den Materialschlachten gewisser zeitgenössischer Künstler:innen, die ihre Werke ob der geballten Kaufkraft im globalisierten Kunstmarkt mit möglichst aufwändigen Verfahren und teuren Materialien sowie unter Zuhilfenahme unzähliger Helfer:innen schaffen, um ihre Sammler:innen zu verblüffen und bei der Stange zu halten, beziehen die Werke von Dominik His ihren Wert aus der Tatsache, dass man sich mit ihnen beschäftigen und auseinandersetzen muss.

Was ist vorne, was hinten, wo befindet sich die Schauseite? Es liegt an uns herauszufinden, welcher Perspektive wir den Vorzug geben. Bei anderem Licht, in einem anderen Raum, in einer anderen Zeit kann das schon wieder anders sein.

Tatsächlich: His mutet uns etwas zu. Nämlich, dass wir uns mit seinem Werk beschäftigen. Das ist jedoch keine Zumutung wie eingangs formuliert. Vielmehr: Er traut uns zu, ja fordert uns geradezu auf, uns damit auseinanderzusetzen. Seine Arbeiten laden uns ein, über die verborgene Schönheit einer Oberfläche, einer Linie, einer Form, eines Farbklecks nachzudenken und uns daran zu erfreuen.

Lukas Handschin, Kurator